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Pressemitteilung

 

Reinhard Mucha
Mucha – WICHTIG LEBEN !

Ausstellung im nw9
1. März - 18. Oktober 2024

Neue Weyerstraße 9
50676 Köln

 

„Ich glaube, die Leute missverstehen [Roy] Lichtenstein: Die frühe Arbeit mit der weinenden Frau war seine Frau – die schizophren war. Ich denke, seine Arbeit war tatsächlich emotional. Auch wenn man dagegen ankämpft...Minimal Art und Konzeptkunst scheinen gegen emotionale Themen anzukämpfen – ich denke, man sollte keine Angst vor ihnen haben. (...) Andererseits finde ich, als Jude, dass Humor extrem wichtig ist.“ 

(Dan Graham im Interview mit dem „Louisiana Channel“, 2017)

 

In einem Kunstforum-Interview von 1987 bedauerte Harald Szeemann Reinhard Muchas Fehlen bei der documenta 8. In dessen Arbeit sei nämlich „irgendwo eine mysteriöse Ecke“ drin, die er für wichtig hält. Außerdem sei Muchas Arbeit „formal irrsinnig gut und gleichzeitig doppelt und dreifach bödig“, so der legendäre Kurator. Mucha also mal wieder notorisch unterexponiert, wie viele der Rezensenten seiner großen Retrospektive in der Kunstsammlung NRW – Der Mucha – Ein Anfangsverdacht (3.September 2022 – 22. Januar 2023) – so oder anders bemerken. Wer diesseits der Fünfzig überhaupt schon mal von Mucha gehört habe, fragt deshalb Hans-Jürgen Hafner rhetorisch und nimmt an, dass der gebürtige Düsseldorfer wohl lieber in seinem Atelier an der Kölner Straße vor sich hin werkelt, als gefühlt an jeder Bushaltestelle auszustellen, wie so mancher Kollege. Dabei mache er seine Sache radikal und eben darauf käme es an, kommentierte Martin Kippenberger einst. Umso erfreulicher ist es jetzt, die Werke Reinhard Muchas in einer Kabinettausstellung im Kölner nw9 – Mucha – WICHTIG LEBEN ! – entdecken, kennenlernen oder wiedersehen zu können, vom 2. März - 18. Oktober 2024.

Haptik, Habitus, Humor – die alte Bundesrepublik „nach 1945“ – als, wenn man so will, post-traumatisches Psychogramm. Aufgefächert im Fundus ihrer Farben, Oberflächen, dinglichen Beschaffenheit, und jene dann in astrein montierte Assemblagen gefügt. Auf diese Formel ließe sich bringen, was Reinhard Mucha, Jahrgang 1950, mit seinem „Modellbau“ ins Werk setzt. Das Potential des Materials ist sein Werkstoff, das Potential neuralgische Gefühlslagen auf einer ganz eigenen bildhauerischen Frequenz zu emittieren. Aktenschränke, Registerkästen, historisches Mobiliar – für Mucha kein „Schnee von gestern“, kein „Ende vom Lied“ (aus dem Arsenal seiner Titel), sondern der Anfang neuer Arrangements aus seiner Hand; rekonfiguriert und dergestalt abstrahiert. Vom ursprünglichen Funktionszusammenhang des Alltags, wo sie ihre Schuldigkeit getan haben, freigesprochen, buchstäblich freigeschnitten, werden die Dinge – also etwa Fußbänkchen (!), schnöde Böden, Zinkwannen, ebenso Werbung, Magazine, Transistorradios, auch Fußbälle und Ballettschühchen (seiner Tochter) oder gar Zeugnisse, nicht zuletzt: Redensarten – zum Bausatz für meist skulpturale Formfindungen, die für sich selbst stehen, eben als Kunst. Holz, Blech, Filz – all das darf sich, vom Weißraum der Galerie freigestellt und diesen häufig hinter Glas reflektierend, auf neue Zusammenhänge hin öffnen. Im Modus der „Latenz“ – Neuralgisches und Nostalgisches ist in Muchas „Geschichts- und Erinnerungskästen“ (Hans-Jürgen Hafner) zwar, stets fest verschraubt, im Schwange, aber nie festgenagelt, etwa auf eine explizite Bedeutung. Es sind assoziative Andockstationen, die sich – Muchas Faszination für die Eisenbahn im Sinn – vielfältig verkuppeln lassen, allemal in zwei Richtungen: Einerseits zu den Stationen der eigenen Biographie, die er pars pro toto als exemplarisch ausstellt, anderseits zu kunstgeschichtlichen Wegmarken, insbesondere seit den 1960er Jahren, die er sich punktgenau anverwandelt. Axiomatische Errungenschaften wie das Erbe Duchamps zählen dazu, also die Bedeutung schon der Auswahl eines Objektes, der unbedingte Glaube an die erzählerische Kraft des Materials à la Beuys, die Erweiterung des künstlerischen Feldes durch die Konzeptkunst, der Formenvorrat des Minimalismus. Diesen Ideenfundus zerlegt Mucha ebenso in seine Bestandteile, wie er auch anderes Material handhabt, um dem Werk dann einzelne Komponenten – unter seinem Zutun verwandelt – wieder einzubauen. Die Formensprache der Minimal Art etwa, ihre cleane Selbstbezüglichkeit, codiert er zum Display individueller Erfahrung um. Jener Display-Charakter wird ihm dann – typisch Mucha – erneut zum Gegenstand, den er mit Fußnoten einer Selbstbespiegelung versieht, wenn er etwa Werke in Werken als Insert „zeigt“, über ihr Mitausstellen also das Ausstellen selbst thematisiert.

Beuys’ erweiterten Kunstbegriff im Sinn darf Mucha das Verdienst einer ureigenen Erweiterung des Skulpturbegriffs attestiert werden. „Skulptur“ fasst er in ein weites Netz von Bezügen – am Beispiel der im nw9 gezeigten Assemblage Uelzen etwa ins Netz der Deutschen Bahn, macht sie imaginativ mobil und setzt sie per Leuchtstoffröhren buchstäblich unter Strom.

Was steht im Kölner nw9 außerdem zu erwarten? Machen wir’s wie Mucha selbst und schauen einmal aufs sprachliche Material der gezeigten grafischen Editionen, arrangieren dieses neu, schieben zusammen, schichten um – dann wissen wir’s: KULTUR, AUF-GEHT’S, WIR SCHAFFEN DAS! SKULPTUR ALS BAUSATZ – ENTDECKEN SIE MEHR! Und, auch das: WICHTIG LEBEN !  

 

Text: Jens Bülskämper, Kunstkritiker

 


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